Wenn das Streben nach „perfekt“ das ganze Leben betrifft, kann es jetzt in der Krise eng werden. Menschen, die ein perfektes Leben führen, denken und handeln in ihren Augen perfekt. Sie setzen sich oft unerreichbare Ziele, und streben das perfekte Leben an.
Das ist an sich kein Problem, wird es aber, wenn die Menschen drum herum nicht perfekt sind und wenn der Perfektionist plötzlich in einer unperfekten Welt aufwacht.
Oder mitten in der Krise.
Was dann?
Die anderen sind so un-perfekt
Lassen wir einen Perfektionisten selbst zu Wort kommen und nennen ihn einfach mal Martin:
„Ich bin jetzt seit 10 Jahren in diesem Unternehmen. Seit zwei Jahren bin ich stellvertretender Geschäftsführer. Seit drei Monaten habe ich eine neue Mitarbeiterin. Sie hat längst nicht so viel Erfahrung wie ich. Aber sie grätscht ständig in meine Arbeit hinein.
Sie weiß alles besser. Anordnungen von mir setzt sie nicht um. Ausserdem fragt sie nie, sie macht einfach. Dabei hat sie überhaupt nicht die Erfahrung, die ich habe. Wenn sie mich doch fragen würde, dann könnte ich sie vor Fehlern bewahren. Ich würde ihr gerne meine Kompetenz zu Verfügung stellen. Aber sie fragt nicht einmal.
In unseren wöchentlichen Meetings werden inzwischen Entscheidungen über meinen Kopf hinweg gefällt. Manchmal über Dinge, die nicht einmal zur Tagesordnung gehören. Ich kann mich darauf nicht ausreichend vorbereiten. Wenn ich dann sage: „Moment, wir müssen noch dieses oder jenes bedenken“, stöhnen alle und verdrehen die Augen. Warum sieht denn niemand, dass ich hier die längste Erfahrung mitbringe?“
Martin merkte, dass er mit seiner genauen Art aneckt und hat daher das Coaching gesucht. Er nennt die Richtung, das Ziel, dass er mit diesem Coaching erreichen möchte.
„Mein Leben ist so anstrengend geworden. Ich will endlich dazugehören, auch mal Fünfe grade sein lassen. Ich will, dass es mir auch mal egal ist, was andere von mir denken.“
Wenn die Kindheit uns einholt
Ich frage Martin nach einer spontanen Kindheitserinnerung, die gerade jetzt bei ihm hochkommt. Es dauert eine Weile, dann erzählt er:
„Ich war vielleicht 3 Jahre alt. Eigentlich war ich schon trocken, konnte schon alleine auf Toilette. Aber wenn ich nach dem Kindergarten einen Mittagsschlaf machen sollte, war hinterher immer wieder das Bett nass. Dann holte meine Mutter mich aus dem Bett, zog mich aus und versohlte mir den Hintern. Währenddessen schimpfte sie, dass meine Geschwister in diesem Alter schon viel weiter waren.“
Ich frage Martin nach seinem Erleben in dieser Erinnerung. Wie fühlt er sich, auch in Bezug auf die anderen Menschen? Wie sieht er als Kind seine Welt, die Menschen um ihn herum? Welche Dynamik steckt in dieser Kindheitserinnerung?
„Ich bin hilflos, ohnmächtig, unsicher, ich weiß nicht, was ich tun muss, damit mir das nicht noch einmal passiert. Die anderen kriegen das hin, ich bin dumm und schaffe es nicht.“
„Ich kann nichts tun, ich fühle mich wie gelähmt, ich weiß nicht, wie ich aus diesem Dilemma herauskomme.“
„Da ist niemand für mich da. Niemand verteidigt mich. Niemand stellt sich meiner Mutter in den Weg“
Während ich Martin reden lasse, mache ich Notizen am Whiteboard. Martin beobachtet jedes Wort, jedes Symbol, das ich aufzeichne.
Was wir mit einem perfekten Leben wollen
Im Laufe des Gesprächs wird Martin immer bewußter, welches Muster er sich angeeignet hat:
„Ich wollte Dinge richtig machen, gut machen und sogar besser als die anderen. Ich wollte nicht mehr auffallen, weil ich etwas nicht konnte. Nach meinem Schulabschluss habe ich studiert, Betriebswirtschaft. Und dann habe ich mich hochgearbeitet. Noch heute besuche ich viele Weiterbildungen, lese sehr viel und weiß einfach vieles. Bevor ich bei einem Meeting etwas präsentiere, gehe ich gefühlt hundert Mal über meine Präsentation, ich checke jede Folie x-mal auf Fehler und Ungereimtheiten. Vor einer Präsentation mache ich viele Überstunden. Ich will mich nicht blamieren.
Ich fühle mich sicher und geliebt, wenn Dinge perfekt laufen und ich alles unter Kontrolle habe!“
Mit diesem Glaubenssatz ist Martin eine gut organisierte und verlässliche Führungskraft geworden.
Durch die Probleme mit seinen Mitarbeitern, die nicht auf seine Expertise zählen, versucht Martin, noch genauer und noch perfekter zu sein und zu arbeiten. Er will auf jeden Fall verhindern, sich zu blamieren oder Fehler zu machen.
Aber seine Mitarbeiter entziehen sich seiner Kontrolle.
Was früher überlebensnotwendig war, um in der Gemeinschaft sicher zu sein, funktioniert heute nicht mehr. Martin erlebt sich immer mehr in Distanz zu seinen Mitarbeitern. Die wiederum machen ihr eigenes Ding.
Es ist ein langer und steiniger Weg, auf dem Martin nach und nach lernt,
- dass es kein Fehler ist, Fehler zu machen. Fehler gehören dazu, machen uns menschlich, erden uns. Wer Fehler eingestehen kann, wird nahbarer und bekommt Zugang zu anderen Menschen, denen ebenfalls Fehler passieren.
Erstaunlicherweise machen Perfektionisten oft mehr Fehler, verzetteln sich und sind unorganisierter als weniger perfekte Menschen. - Er lernt, dass sein Wert nicht von seiner Leistung abhängt. Und das übt Martin, in dem er zu sich selbst gut ist, sich Dinge zutraut, ohne sie perfekt tun zu müssen. Martin sucht sich ein neues Hobby, etwas was ihm Spaß macht, wo er sich ausprobieren kann.
- Und Martin lernt weniger in Schwarz-Weiß zu denken. Was nicht richtig ist, ist deshalb nicht automatisch falsch. Es kann auch ein weiterer Meilenstein hin zu richtig, oder stimmig für mich sein. Dabei übt er ein, ganz bei sich zu sein, und damit wieder auf Augenhöhe mit seinen Kollegen. Seine Mitarbeiter sind okay, und er ist es auch. Mit diesem Motto geht er gelassener in Meetings und kann es allmählich aushalten, dass andere Menschen auch anders denken. Er hört nicht mehr alles als persönlichen Angriff.
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Cornelia Schmid
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