Ich gebe es zu: Ich bin von Natur aus eher kritisch und neige dazu, erst einmal ein Worst Case Szenario zu durchdenken, bevor mein Optimismus zu Wort kommen darf. Das gilt für mein Business genauso wie für Herausforderungen in Familie und Alltag.
Daher gehen mir chronisch optimistische Menschen, die den lieben langen Tag lächeln und die Welt rosarot sehen, manchmal auf den Zeiger.
Ist Optimismus wirklich hilfreich in Krisenzeiten und Herausforderungen?
Bereits vor 2 Jahren schrieb Henrike Brinkmann einen Gastbeitrag auf meinem Blog über „Toxic Posititvity“.
Jeder neue Ausbildungsdurchgang unseres nach wie vor sehr gefragten Resilienzguides lässt mich daher immer wieder neu, aus anderen Blickrichtungen und neuen Perspektiven das Thema Optimismus beleuchten.
Daueroptimisten überleben nicht
Der Managmentexperte Jim Collins schreibt in seinem Buch Good to Great über einen herausragenden Vizeadmiral der US Navy, der sieben Jahre als Kriegsgefangener in einem nordvietnamesischen Gefängnis verbringen musste. Eine traumatische Zeit, die viele seiner Mitgefangenen nicht überlebten. Stockdale gelingt es trotz aller täglichen Grausamkeiten, diese qualvollen Jahre zu überleben! Durch unerschütterlichen Optimismus? Nein!
Es klingt paradox, aber genau jene Kriegsgefangenen, die NICHT überlebten, waren tendenziell die Optimisten. Ihr Optimismus äußerte sich in Sätzen wie: „Bis Weihnachten kommen wir hier raus.“ Und dann kam Weihnachten und ging wieder … und dann kam Ostern und ging vorbei … dann kam Thanksgiving und dann war wieder Weihnachten … und nichts passierte. Ihr Optimismus schlug in Verzweiflung um, ihr Durchhaltevermögen bröckelte. Irgendwann wurde aus Hoffnung grenzenlose Resignation.
Optimismus hilft wenig in Krisen
In unserer Ausbildung geben wir dem Resilienzfaktor Optimismus einen neuen Rahmen.
Unter Resilienz verstehen wir die Fähigkeit eines Menschen, eine psychische Widerstandskraft zu entwickeln und mithilfe dieser auch stressige oder schwierige Situationen zu meistern, ohne langfristig dadurch beeinträchtigt zu werden. Im besten Fall verhilft Resilienz in Krisen zu Wachstum und Entwicklung.
Immer deutlicher wird uns dabei, dass chronische Optimisten sich oftmals viel schwerer tun mit Krisen. Denn sehr oft neigen Optimisten dazu, ein schnelles Ende der Krise herbeizuwünschen.
Das viel zitierte „Licht am Ende des Tunnels“ soll möglichst bald in Sicht sein.
Optimismus führt mit dieser Sichtweise oft zu Handlungsunfähigkeit. Ich tue nichts, es wird schon bald besser werden. Morgen scheint bestimmt wieder die Sonne!
Hope – was erwartest du?
Daher gehen wir einen Schritt weiter und sprechen von Zuversicht und Hoffnung.
Hoffnung kommt von dem mittelniederdeutschen Wort hopen (vgl. engl. Hope) und bedeutet vor Erwartung unruhig hüpfen oder springen. Das erinnert mich an Kinder vor Weihnachten, die wissen, dass am 24. Dezember der geschmückte Baum in der Wohnung erstrahlt und die Geschenke unter dem Baum liegen. In diesem Sinne ist Hoffnung das Erwarten des Guten. Ich weiss, dass etwas Wünschenswertes eintritt, ohne dass ich hundert prozentige Gewissheit darüber habe, was es wirklich sein wird
Mit dieser Sichtweise ist Hoffnung die umfassende emotionale und unter Umständen handlungsleitende Ausrichtung des Menschen auf die Zukunft.
Hoffnung – handlungsfähig werden
Interessant ist, dass das Wort Hoffnung, dass die Bibel verwendet ebenfalls bedeutet unter allen Umständen das Gute zu erwarten (griechisch „elpis“)
Wer mit dieser Hoffnung durchs Leben geht, sucht auch in schwierigen Zeiten seinen persönlichen Handlungsspielraum. Biblische Hoffnung ist kein „hoffentlich“, es ist vielmehr das Ende eines durch Schwierigkeiten und Krisen gereiften Lebens und Glaubens.
„…wir freuen uns auch über die Nöte, die wir jetzt durchmachen. Denn wir wissen, dass Not uns lehrt durchzuhalten, und wer gelernt hat durchzuhalten, ist bewährt, und bewährt zu sein festigt die Hoffnung. Und in unserer Hoffnung werden wir nicht enttäuscht. Denn Gott hat uns den Heiligen Geist gegeben und hat unser Herz durch ihn mit der Gewissheit erfüllt, dass er uns liebt. Römer 5
Mit dieser Sicht ist Hoffnung verbunden mit der Tatsache, dass ein liebender Gott uns nicht unbedingt das schnelle Ende der Krise bringt, aber das Durchhalten und Festhalten und die Konzentration auf unseren Handlungsspielraum.
Mit dieser Hoffnung lebe ich gerne. Hier muss ich nicht ewig lächelnd durch schwierige Zeiten gehen und mich mit Optimismus zudecken. Auf der anderen Seite vergrabe ich mich aber auch nicht in düsterem Pessimismus.
Eine das gute erwartende Hoffnung erweitert meinen persönlichen Handlungsspielraum und lässt mich Wege finden, um mit Herausforderungen konstruktiv umzugehen – ohne die Wirklichkeit zu verzerren.