Wir haben ein Hotelzimmer gebucht. Im Internet gab es außergewöhnliche Bewertungen. Die Bilder hatten uns angesprochen. Die Wirklichkeit aber entpuppt sich als Alptraum.
Wir sind unterwegs zu einem Vortrag im Norden Deutschlands. Wir lieben diese gemeinsamen Autofahrten mit viel Zeit zu zweit. Dazu gehört auch eine gute Planung: Ankommen im Hotel – frisch machen in einem schönen Bad – eventuell noch ein kurzes Nickerchen und los geht´s.
Als wir in dem kleinen Ort ankommen, wird uns ein bisschen mulmig. Hier soll es ein tolles Hotel geben? Das Navi zeigt noch 300m – 200m – 100m – „Sie haben das Ziel erreicht!“ Wir stehen vor einem alten Landgasthof. Vor der Türe stapeln sich Bauschrott und Müll, dazwischen halbverdurstete Balkon- und Kübelpflanzen. Daneben ist ein einsamer Bauarbeiter damit beschäftigt, eine Wand zu verputzen.
Alles wirkt heruntergekommen und alt. Die Türe ist verschlossen. Wir klingeln. Eine Dame erscheint auf dem Balkon und schreit herunter: „Ich bin krank!“ Etwas irritiert stellen wir uns vor. Kurz darauf erscheint die Wirtin an der Türe, barfuß und mit zerzaustem Haar. Sie hätte Sommergrippe und zwar richtig heftig. Mit diesem Satz, der eher nach „Ich habe die Pest!“ klingt, bittet sie uns herein.
Kalter Rauch und schäbige Zimmer
Der Flur riecht nach kaltem Rauch, sie führt uns in den Frühstücksraum, der Rauchgeruch ist so heftig, dass ich husten muss. Wann sie uns morgen das Frühstück machen soll, fragt sie. Und ich denke: Bloß nicht! Hier bekomme ich keinen Bissen herunter.
Wir erhalten den Zimmerschlüssel und betreten über ein verräuchertes Treppenhaus unser Zimmer. Auf dem Fensterbrett liegen tote Fliegen. Das Mobiliar aus den 80ern hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Das Zimmer riecht, wie könnte es auch anders sein, nach Rauch, der Aschenbecher steht auf dem Fensterbrett. Das Bad erinnert mich an unsere erste Pastorenwohnung – 1960er Jahre Style. Die Glühbirne ist kaputt, so dass wir im Dunkeln duschen müssen.
Vergilbte Auszeichnungen
Schnell ist uns beiden klar: Das geht nicht. Wir suchen das Internet nach Alternativen ab und werden fündig. Unsere Koffer sind noch nicht ausgepackt, wir verabschieden uns von der grippekranken Wirtin und eilen durch den Flur nach draußen.
An der Türe stutze ich einen Moment. An einer Wand hängen dutzende Auszeichnungen: „Bestes Gasthaus des Bundeslandes“, „beste Küche“, „beste vegetarische Küche“, „Gewinner des Gastronomie-Wettbewerbs“, … Hier hängen lauter Auszeichnungen aus den Jahren 1989 – 1995.
Vor 30 Jahren war diese Pension ein gastfreundlicher Ort mit ausgezeichneten Zimmern und einer überragenden Küche. Als wir ins Auto steigen und ich die Adresse unseres Alternativhotels eingebe, bin ich sehr nachdenklich. Was einmal sehr gut begann, mit Menschen, die voller Leidenschaft ihrem Traumjob nachgingen, ist nun nur noch in vergilbten Auszeichnungen sichtbar.
In vielen christlichen Werken und Organisationen, entdecke ich ähnliche Tendenzen. Vor 20, 70 oder 100 Jahren begann ein Mann, eine Frau oder ein Team mit Leidenschaft und Begeisterung, eine Idee zu verwirklichen: Gemeindegründung, Diakonisches Handeln, Hingabe für Randgruppen. Jahrzehnte später gibt es vielleicht noch alte Häuser, die in Stand gehalten werden müssen und Menschen, die bei Laune gehalten werden wollen. In diesen alten Gebäuden hängt oftmals noch kalter Rauch. Wer die Gründergeneration noch kannte, schwelgt in Erinnerungen: Früher war alles …, Sie wissen schon!
Was ist zu tun?
Leben ist Veränderung. Wir feiern jedes Jahr ein neues
Lebensjahr. Das Leben ändert sich, aus Kindern werden Erwachsene, die
ausziehen, eigene Wege gehen, neu denken und handeln.
In Gemeindeberatungen ermutige ich dazu, alte Denk-Möbel rauszuschmeißen. Mach
die Fenster deiner Gedanken weit auf und schüttel den kalten Rauch ab. Das
dauert seine Zeit. So ein Geruch hält sich hartnäckig.
Und dann schwelge ruhig in Erinnerungen mit dem Blick nach vorne. Was hat die Gründergeneration so anziehend gemacht für Menschen? Warum war der Landgasthof im 20. Jahrhundert überlaufen? Welche Persönlichkeit hatten die Gründer und wie sind sie auf Menschen zugegangen? Was war ihr Antrieb, dieses Unternehmen oder jene Gemeinde zu gründen? Was war ihr Ziel? Und – haben sie dieses Ziel erreicht?
In sozialen Netzwerken fällt mir eine Fülle von Konferenzen und Kongressen auf, die im deutschsprachigen Raum stattfinden. Menschen pilgern von Konferenz zu Konferenz. Bekommen Input, Ideen und Anregungen. Diskutieren bis zum Umfallen, was denn wohl zu tun sei, um Kirchen und Organisationen wieder flott zu bekommen.
Vielleicht ist alles gar nicht so schwer. Vielleicht genügt es, die Fenster aufzumachen, den kalten Rauch raus zu lassen, neue Möbel ins Zimmer zu stellen, die Glühbirnen auszutauschen und die Menschen, die bei uns gebucht haben, mit einem „Herzlich Willkommen!“ aufzunehmen.