Wenn mein emotionaler Tank leer ist, geht nichts mehr. Dann bin ich nicht mehr kreativ, habe Null Ideen und sehr wenig Interesse an anderen Menschen.
Anfang März spüre ich, dass die Tanknadel meiner Seele bedrohlich in den roten Bereich rutscht. Der Lockdown und meine damit verbundene berufliche Talfahrt bringen mich in meinen persönlichen Grenzbereich. Aus der Traum von Vorträgen und Bühnen, Reisen und interessanten Begegnungen. Ja, ich gestehe, das sind für mich bis dahin Energiespender.
Während ich mich noch darüber beschwere, dass alle meine Energiespender verboten sind, entdecke ich ihn plötzlich wieder: Meinen roten Sessel. 22 Jahre ist er jetzt alt. Gekauft hatten wir ihn damals mitsamt einem 3-Sitzer und einem 2-Sitzer. Unser erstes Wohnzimmer.
Der Sessel ist von Anfang an mein Lieblingsmöbelstück, mein Rückzugsort, meine Heimat. Als wir uns vor wenigen Jahren ein neues, moderneres Sofa leisten, ist mir sofort klar: diesen Sessel will ich behalten. Meine Heimat brauche ich nach wie vor.
Ein Ort zum Träumen
In diesem Sessel träume ich, lese ich, schreibe ich Tagebuch oder höre einfach nur Musik – oder tue nichts. Der rote Sessel ist mein Rückzugsort. Hier tanke ich neue Energie. Fülle meinen emotionalen Tank. Hier entspanne ich zweckfrei, ohne Hintergedanken, ohne Ziel, ohne Ergebnis.
Genutzt habe ich ihn im letzten Jahr sehr wenig. Ich war viel unterwegs, ständig auf Achse, Termine um Termine. Manchmal schaute er mich an, als wolle er fragen: Magst du dich nicht mal wieder setzen? Jetzt entdecke ich ihn neu. Meinen roten Sessel, meine Heimat, meinen Rückzugsort.
Meine drei Entscheidungen
In den letzten Wochen habe ich meinen Sessel oft aufgesucht. Mein Sessel erdet mich. Er kennt mich seit 22 Jahren. Und wenn ich Platz nehme, dann weiß ich wieder, was ich brauche, und was nicht. Ich spüre plötzlich, dass die Bühnen des vergangenen Jahres nicht nur Energiespender waren, sondern auch sehr viel Energie gekostet haben.
In diesem Sessel fallen in den letzten Wochen drei Entscheidungen:
- Ich entscheide mich, meinen Medienkonsum zu selektieren. Es ist schon ein Automatismus geworden. Wenn morgens der Wecker klingelt, Handy an, Mails checken, facebook, instagram, News.
Jetzt nehme ich innerlich Abstand zu Nachrichten, Meinungen und dem Senf, den jeder zu allem dazugibt.
Ich kann die Welt nicht retten und es ist auch nicht meine Aufgabe. Daher nutze ich die Zeit und Lese. Literatur, die mich interessiert, weiter bringt, mir Energie bringt.
- Ich entscheide mich dafür, mich nicht länger mit „Wenn …dann“ Gedanken selbst zu sabotieren. „Wenn das im Herbst so weitergeht, was dann?“ – Ich weiß nicht, was morgen sein wird, und seit ich nicht mehr täglich neue Nachrichten mitbekomme, die morgen sowieso wieder anders aussehen, lebe ich gelassener im Hier und Jetzt.
- Da ich weiß, dass für meine Gefühle meine Gedanken ausschlaggebend sind, ziehe ich den Stecker meines Egos und vertraue meinem Gott und seinen Gedanken über meinem Leben – die sind übrigens voller Zukunft und Hoffnung.
Die Welt dreht sich auch ohne mich weiter – Also kann ich auch gelassen sitzen bleiben in meinem roten Sessel.