Ich sitze an meiner neuen Nähmaschine. Angeblich ein Top Modell – der Mercedes unter den Nähmaschinen. Als ich das Stück Stoff unter die Nadel schiebe und „Gas“ gebe, reißt der Faden. Ärgerlich!
Die richtige Spannung
Während ich den Faden wieder in die Nadel einfädle, stelle ich die Fadenspannung etwas geringer ein. Zweiter Versuch. Der Stoff landet wieder unter der Nadel, mein Fuß auf dem „Gaspedal“. Innerhalb weniger Sekunden habe ich ein Fadenknäuel unter meinem Stoff. Nichts geht mehr. Diesmal war die Fadenspannung zu gering.
Ich beschließe, vor einem dritten Versuch die Bedienungsanleitung zur Hand zu nehmen und erst einmal alles über die richtige Fadenspannung zu lesen.
Erschöpfung, Schlaflosigkeit, Aggressionen
Seit meinen ersten Nähversuchen erinnert mich meine Nähmaschine an die richtige Fadenspannung in meinem Leben. In meinen ersten Berufsjahren, gemeinsam mit meinem Mann in unterschiedlichen Leitungsaufgaben, habe ich meinen Lebensfaden kräftig überspannt. Das Ergebnis waren körperliche Erschöpfung, Schlaflosigkeit, Magenprobleme, aber auch Aggressionen und Gereiztheit.
Heute habe ich als Laufbahnberaterin und Expertin für Veränderung sehr oft mit Menschen zu tun, deren Hauptproblem die Überforderung im beruflichen Alltag ist. Sehr oft fällt mir dabei auf, wie wenig konkret die Überforderung zunächst benannt werden kann. „Ich bin überfordert“, „Ich kann nicht mehr!“ „Es ist mir alles zu viel!“
Was aber genau ist das „Zuviel“. Was löst eigentlich bei Menschen Überforderung aus?
Fachliche Überforderung
Ich erinnere mich an Thorsten, einen jungen Mann, den ich vor einigen Jahren in
einem Coachingprozess begleitete. Die tägliche Ansage seines Chefs: „Du fragst
zu viel – mach doch einfach!“ löste inzwischen schon Panik bei ihm aus. Er
wußte genau, dass ihm fachliches Know-How fehlte, um seine Arbeit gut und
richtig zu tun.
Spaß hatte er schon lange nicht mehr. Dagegen stand ihm täglich vor Augen, was er nicht konnte. Der berufliche Faden war kurz davor zu reißen. Im Coaching sprachen wir über seine Fähigkeiten, seine Begabungen, seine Stärken und seine Träume.
Gemeinsam entwickelten wir ein Zielbild – eine Sicht davon, wo Thorsten eigentlich hin wollte, in welchem Umfeld er sich entfalten konnte wie ein Fisch im Wasser. Schnell war klar – dieser Job war nicht das, was er wollte. Thorsten entschied sich für eine berufsbegleitende Weiterbildung und bewarb sich auf eine andere Stelle, an der er heute Spaß hat.
Emotionale Überforderung
Eine zweite
Überforderung kann ganz andere Ursachen haben. Die fachlichen Qualifikationen
sind da. Aber der tägliche Umgang mit Kollegen, Mitarbeitern oder dem Chef wird
zum Alltagshorror.
Ich komme einfach nicht klar mit diesem schwierigen Kollegen. Ich muß ständig seine Arbeit mitmachen, weil er es nicht auf die Reihe kriegt. Oder ich darf täglich die Launen meines Chefs ertragen. Konflikte am Arbeitsplatz, der häufigste Grund für Überforderung.
Um hier klarer
zu sehen, ist es gut zu wissen, wie ich ticke:
„Mit welchen Menschen habe ich den meisten Stress und warum ist das so?
Wie kann ich versöhnt mit meinen Schwächen leben und dadurch auch einen
entspannteren Umgang mit den Schwächen anderer Menschen hinbekommen?“
Love it – Leave it – Change it
Mit diesem Motto bin ich selbst seit vielen Jahren unterwegs.
Wie drei Schablonen halte ich diese Imperative an Situationen, die mich
überfordern. Wenn es mir nicht gelingt, die Situation anzunehmen, zu lieben,
dann überlege ich, was ich daran ändern könnte. Ist auch diese Möglichkeit zum
Scheitern verurteilt, vielleicht, weil ich Änderungsprozesse angegangen bin,
und der gewünschte Erfolg ausbleibt, dann entscheide ich mich, die Situation zu
verlassen.
Jeder Wechsel, jedes Verlassen einer vertrauten Umgebung ist ein Wagnis. Ich
weiß nicht, ob es nachher wirklich besser sein wird. Als Veränderungsexpertin
weiß ich, dass Menschen mutiger sind für neue Schritte, wenn sie jemanden an
ihrer Seite haben, der zuhört, Ängste mitträgt und dabei den Fokus auf Stärken
und Fähigkeiten legt. Ermutigung ist der Schlüssel, um Veränderung zu wagen.
Und wir Menschen sind mutiger, als wir oft denken.
Fragen zum Weiter-Denken:
- Benennen Sie Ihre berufliche Überforderung. Was ist Ihre
konkrete Überforderung?
-fachliche Überforderung
-emotionale Überforderung
-persönliche Überforderung (z.B.ich schaffe meine Arbeit nicht, weil ich zu perfektionistisch bin?)
-Arbeitszeiten, die überfordern (z.B. ich würde gerne Teilzeit arbeiten, morgens später kommen,…) - Welches Bild habe ich von meinem beruflichen Traum?
Wo möchte ich arbeiten, mit wem, wie lange?
Wie viel Prozent von meinem Traumbild kann ich an meiner jetzigen Arbeit bereits leben? - Wenn mein beruflicher Traum noch in weiter Ferne liegt, welchen konkreten Schritt kann ich jetzt in die richtige Richtung gehen? Wer könnte mir zur Seite stehen?